Vor- und Nachteile von mehrjährigem Getreide

 

Die Landwirtschaft steht weltweit vor enormen Herausforderungen, insbesondere im Angesicht des Klimawandels. Mehrjähriges Getreide könnte eine vielversprechende Lösung bieten: Untersuchungen zeigen, dass der Einsatz mehrjähriger Sorten nicht nur die Bodenfruchtbarkeit stabilisiert, sondern auch den Wasserbedarf senken kann. Dieser Artikel beleuchtet die Vor- und Nachteile dieser Anbaumethode und bietet Einblicke, wie landwirtschaftliche Betriebe von einer nachhaltigen und klimaresilienten Landwirtschaft profitieren können.

 

Kernaussagen

 

Getreideanbau in Deutschland

Die Getreideproduktion ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für die deutsche Landwirtschaft und trägt erheblich zur Nahrungsmittelversorgung bei. Deutschland gehört zu den größten Exporteuren von Getreide in der EU, insbesondere von Weizen und Gerste. Die Forschung im Bereich Getreidezucht konzentriert sich zunehmend auf die Entwicklung von Sorten, die besser an die Herausforderungen des Klimawandels angepasst sind, wie zum Beispiel Trockenheit und Krankheiten.

Infobox: Zahlen und Fakten zum Getreideanbau in der EU

 

Mehrjähriges vs. Einjähriges Getreide

Vergleicht man die Eckdaten mehr- und einjähriger Getreidesorten, werden bereits auf den ersten Blick diverse Unterschiede sichtbar. Wie sie sich in den Punkten Lebensdauer, Ertragsentwicklung, Wasser- und Nährstoffbedarf sowie Unkrautmanagement unterscheiden sieht wie folgt aus:

Tabelle: Unterschiedliche Merkmale für ein- und mehrjährige Getreidekulturen

 

Welche ackerbaulichen Vorteile bieten mehrjährige Getreidesorten?

Infobox: Klimaresilienz in der Landwirtschaft

 

Welche Hindernisse gilt es zu berücksichtigen? 

Trotz der Vorteile, die mehrjährige Getreidesorten bieten, gibt es auch mehrere Hindernisse, die bei ihrer Nutzung berücksichtigt werden sollten. Ein zentrales Hindernis ist die verfügbare Saatgutvielfalt. Mehrjährige Sorten sind oft nicht so weit verbreitet oder in der Qualität erforscht wie einjährige Kulturen, was die individuelle Auswahl einschränken kann.

Zusätzlich können Anbau- und Ernteverfahren für mehrjährige Getreidearten komplexer sein, da möglicherweise spezielle Techniken und Geräte benötigt werden, um diese Pflanzen effektiv zu bewirtschaften. 

Infobox: Erntebedingungen von Kernza

Gerade in Dürreperioden kann eine Spätverunkrautung die Erträge mindern. Untersuchungen in den USA zeigen, dass mehrjährige Getreidesorten spezifische Herausforderungen bei der Krankheits- und Schädlingsbekämpfung mit sich bringen. In diesen Systemen können boden- und rückstandsgebundene Krankheitserreger, sowie solche, die in lebendem Gewebe überleben, verstärkt auftreten, da traditionelle Bekämpfungsmaßnahmen wie Fruchtwechsel und Bodenbearbeitung nicht im gleichen Maße anwendbar sind. Mischkulturen und genetische Diversität können die Krankheitslast verringern und die Resistenz von Sorten verlängern. 

Ein weiteres Hindernis stellt die Anpassung der Fruchtfolgen dar. Da mehrjährige Getreidearten mehrere Jahre lang im Boden bleiben, kann dies die Einführung anderer Kulturen und die Rotation im Ackerbau erschweren. Beispielhafte Fruchtfolge mit mehrjährigem Getreide


Mehrjährige Getreidesorten - bereits im Handel erhältlich

1. Kernza (Thinopyrum intermedium)

Feld mit Kernza

Kernza ist eine mehrjährige Getreidepflanze, die vom Land Institute in den USA entwickelt wurde. Seit einigen Jahren wird Kernza als Pionier unter den mehrjährigen Getreidesorten in der Nahrungsmittelproduktion genutzt. Die Pflanze eignet sich zur Herstellung von Produkten wie Brot, Bier, Mehl und anderen Lebensmitteln. Kernza ist besonders interessant, weil es die Bodengesundheit erhöht, Erosion verhindert und mit weniger Wasser auskommt als traditionelle Getreidesorten.

Die Pflanze besitzt tiefe Wurzelsysteme, die bis zu drei Meter in den Boden reichen und damit Wasser und Nährstoffe effizienter aufnehmen können. Im Vergleich zu einjährigem Weizen sind die Körner von Kernza jedoch kleiner, weshalb der Ertrag pro Hektar geringer ausfällt. Allerdings hat Kernza den Vorteil, dass es nicht jährlich neu ausgesät werden muss und so langfristig Kosten bei der Bodenbearbeitung und Aussaat spart. In den ersten Anbaujahren liegen die Erträge etwa bei drei bis fünf dt/ha. 

Kernza wird seit den 1980er Jahren gezüchtet, und seit einigen Jahren gibt es erste kommerzielle Anwendungen. Dennoch ist die Züchtung noch in einem frühen Stadium, und es wird daran gearbeitet, die Kornerträge zu steigern und die Verarbeitbarkeit zu verbessern. Die aktuelle Züchtung fokussiert sich auf die Stabilität des Kornertrags, besseres Dreschen, geringere Spindelbrüchigkeit und eine einheitliche Reifezeit.

 

2. Graugrüne Quecke (Elymus repens) 

Die graugrüne Quecke wurde im August 2019 als mehrjährige Pflanze für die Nahrungsmittelproduktion zugelassen. Die Sorte, genannt MN-Clearwater, eignet sich für die Herstellung von Bier, Brot, Müsli und Keksen. Auch die Halme können als Futter in der Tierhaltung genutzt werden. Die Pflanze ist größer als Weichweizen und kann bis auf Brusthöhe wachsen, jedoch sind die Körner deutlich kleiner und wiegen nur etwa ein Fünftel im Vergleich zu Weizenkörnern. Die Züchtung befindet sich noch in einem frühen Stadium, da sie erst seit 2011 entwickelt wird.

MN-Clearwater zeichnet sich durch ein stark verzweigtes Wurzelsystem aus, das bis zu drei Meter tief reicht. Die Züchtung basiert auf der Kreuzung von sieben Parentalgenerationen, wobei der Fokus auf höherem Kornertrag, weniger Spindelbrüchigkeit, besserem Dreschen und einheitlicher Kornreife lag.

In Feldversuchen erreichten die Erträge in den ersten beiden Anbaujahren etwa 6,96 dt/ha. Allerdings sanken die Erträge im dritten Jahr um 77 %, möglicherweise aufgrund der Konkurrenz der Rhizome, da die Pflanzen sich stark vegetativ vermehren und Nährstoffe entzogen werden könnten.

Ein weiteres, für den Ackerbau eher negatives Merkmal der graugrünen Quecke ist ihr Potenzial zur nachträglichen Verunkrautung. Das dichte Rhizomsystem bleibt auch nach der Ernte im Boden aktiv, was zu unerwünschten Austrieben in Folgejahren führen kann. Dies stellt eine Herausforderung für den Anbau nachfolgender Kulturen dar, da die Pflanze konkurriert und den Einsatz zusätzlicher Bodenbearbeitungs- oder Unkrautbekämpfungsmaßnahmen erforderlich machen kann.

Um der Verunkrautung zu entgehen, gibt es mehrere Ansätze: 

Eine Kombination dieser Strategien, angepasst an die Standortbedingungen, bietet die besten Ergebnisse. Durch präventive Maßnahmen wie sauberes Erntemanagement und regelmäßige Kontrollen kann die Verbreitung der Quecke weiter reduziert werden. Die laufende Züchtung konzentriert sich auf die Verbesserung der Kornerträge, eine einheitliche Reifezeit, geringere Spindelbrüchigkeit und bessere Dreschbarkeit. Trotz dieser Herausforderungen birgt die graugrüne Quecke erhebliches Potenzial als nachhaltige Kulturpflanze, insbesondere in Hinblick auf Bodengesundheit und Ressourceneffizienz.

 

Mehrjährige Getreidesorten - noch in der Forschungs- oder Entwicklungsphase

1. Kernweizen (Triticum aestivum var. perenne)

Kernweizen ist eine Weiterentwicklung des traditionellen Weizens, der in verschiedenen Regionen der Welt kultiviert wird. Die mehrjährige Variante wird züchterisch bearbeitet, um die Eigenschaften des Weizens zu optimieren und gleichzeitig die Vorteile mehrjähriger Pflanzen zu nutzen.

2. Mehrjähriger Hafer (Avena sativa var. perenne)

Mehrjähriger Hafer ist eine experimentelle Züchtung, die aus dem traditionellen Hafer entstanden ist. Züchter arbeiten daran, die Eigenschaften des einjährigen Hafers zu nutzen und diese in eine mehrjährige Form zu übertragen.

3. Mehrjährige Gerste (Hordeum vulgare var. perenne)

Mehrjährige Gerste ist eine neuere Züchtung, die durch Kreuzungstechniken entwickelt wurde, um die Vorteile der mehrjährigen Anbauweise in die Gerstenproduktion zu integrieren.

4. Triticale (x Triticosecale var. perenne)

Triticale als bereits etablierte Hybridart, die durch Kreuzung von Weizen und Roggen entsteht. Die mehrjährige Variante wird gezüchtet, um die Vorteile der hybriden Eigenschaften über mehrere Jahre hinweg nutzen zu können.

 

Aktuelle Forschung und Ausblick 

Versuche in Bayern zeigen, dass mehrjähriger Weizen Potenzial für den Anbau hat, insbesondere auf ökologisch bewirtschafteten, schwächeren Standorten. In einem dreijährigen Projekt wurden fünf ausdauernde Weizenlinien getestet, die aus einer Kreuzung von Weichweizen und einer Queckenart stammen. Die Qualität der Körner war auf dem Niveau von Backweizen, was ein wichtiger Aspekt für die Vermarktung ist. 

Dabei erreichten die Erträge im ersten Jahr bis zu 17,5 dt/ha, was nahe an den Erträgen von einjährigem Weizen liegt, der knapp 20 dt/ha erzielte. Allerdings traten im zweiten Jahr aufgrund von Trockenheit und Spätverunkrautung Probleme auf, die zu stark sinkenden Erträgen führten – im besten Fall nur noch sieben dt/ha, während zwei der fünf getesteten Linien komplett ausfielen. Ein gut bewässerter Standort in Luxemburg zeigte das Potenzial von mehrjährigem Weizen deutlich: Dort erreichten die Erträge im ersten Jahr bis zu 53 dt/ha. Aufgrund von Überflutungen konnten jedoch keine weiteren Erträge im zweiten Jahr ermittelt werden.

Trotz der Schwächen sehen die Forscher ein Anbaupotenzial, vor allem für ungünstig geschnittene Flächen, Erosionsschutzstreifen und Permakultursysteme. Ein zweijähriger Anbau gilt als realistisch, und eine Klee-Untersaat ist notwendig, um Unkrautprobleme zu vermeiden. Zusammenfassend zeigt der Versuch, dass mehrjähriger Weizen vielversprechend ist, aber weitere Forschung notwendig ist, um die Herausforderungen bei Trockenheit und Ertragsstabilität zu überwinden.

 

Mehrjähriges Getreide und Regenerative Landwirtschaft

Regenerative Landwirtschaft und der Anbau von mehrjährigem Getreide verfolgen gemeinsame Ziele: den Schutz und die Verbesserung der Bodenqualität, die Förderung der Biodiversität und die Bindung von Kohlenstoff im Boden. Mehrjährige Getreide reduzieren Erosion und fördern den Aufbau von Humus durch dauerhafte Bodenbedeckung und tief wurzelnde, sowie andauernd wurzelnde Pflanzen - zwei der regenerativen Prinzipien. Sie minimieren den Einsatz von Ressourcen wie Wasser, Dünge- und Pflanzenschutzmitteln, während sie natürliche Prozesse stärken. Auch wird gleichzeitig die Intensität der Bearbeitung des Bodens verringert. 

5 Prinzipien der Regenerativen Landwirtschaft

Wir von Klim wissen um die Bedeutung von mehrjährigen Kulturen in der Landwirtschaft und bieten Landwirten bei der Umstellung auf regenerative Maßnahmen finanzielle Anreize für die Reduzierung der Emissionen und die Speicherung von CO2 im Boden. Dies trägt zusätzlich zur Optimierung der Bodengesundheit und zum Klimaschutz bei. Entdecke die Vorteile von Klim für Deinen Betrieb und werde Teil unserer Gemeinschaft aus Landwirten.

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Fazit

Die Betrachtung mehrjähriger Getreidesorten zeigt, dass sie entscheidende Vorteile für die Landwirtschaft bieten, darunter eine optimierte Bodenfruchtbarkeit, eine effizientere Wassernutzung und eine gesteigerte Biodiversität. Beispielsweise ermöglicht das tiefere Wurzelsystem von Kernza den Zugang zu Nährstoffen aus tieferen Bodenschichten, wodurch der Wasserbedarf gesenkt wird und die Pflanzen resistenter gegenüber extremen Wetterbedingungen sind. 

Mit der steigenden Unsicherheit durch den Klimawandel könnten mehrjährige Sorten in Zukunft eine Schlüsselrolle spielen, um Landwirte von klimatischen Schwankungen unabhängiger zu machen und die langfristige Nahrungsmittelproduktion zu sichern. 

 

FAQs

 

Was sind mehrjährige Getreidesorten?
Mehrjährige Getreidesorten sind Pflanzen, die mehrere Wachstumszyklen durchlaufen und mehrere Jahre überleben, im Gegensatz zu einjährigen Sorten, die nach der Ernte absterben. Beispiele sind Kernza und graugrüne Quecke.

Wie unterscheiden sich mehrjährige von einjährigen Getreidesorten hinsichtlich der Erträge?
Einjähriges Getreide bietet in den ersten Jahren hohe Erträge, während mehrjähriges Getreide in den Anfangsjahren niedrigere Erträge aufweist, die jedoch stabiler sind, da weniger intensive Bodenbearbeitung notwendig ist.

Warum ist die Klimaresilienz von mehrjährigem Getreide wichtig?
Klimafreundliche Anbaumethoden wie mehrjähriges Getreide können helfen, die Nahrungsmittelproduktion in Zeiten zunehmender klimatischer Unsicherheiten zu sichern und Ressourcen zu schonen.