Effektive Mikroorganismen

Lesedauer: 4 Minuten

 

Ursprung

Japan 1982. Dr. Teruo Higa entwickelt die sog. “effektiven Mikroorganismen” (kurz EM). Dabei handelt es sich um eine Mischkultur aus über 80 ausgewählten und frei in der Natur vorkommenden, sowohl aeroben als auch anaeroben Mikroorganismen. Die Funktionsweise ist die Aktivierung der im Boden vorhandenen Mikroorganismen und die Stärkung ihrer natürlichen Kraft. Teruo Higa, Professor für Gartenbau an der Universität Ryukyus in Okinawa und Gründer der EM Research Organization (EMRO), erforschte bereits seit den 1960er Jahren Bodenfruchtbarkeit in Abhängigkeit von Mikroorganismen. Die damals unübliche Kombination verschiedener Mikroorganismen verhalf ihm zum wissenschaftlichen Durchbruch. 

 

Zusammensetzung

Die verschiedenen Mikroorganismen-Arten stammen aus fünf verschiedenen Familien.

Photosynthesebakterien (Rhodopseudomonas) sind durch die Photosynthese selbst erhaltende anaerobe Bakterien. Aus Kohlenstoffdioxid und Sonnenlicht entstehen Aminosäuren, Nukleinsäuren, bioaktive Substanzen und Zucker. Milchsäurebakterien (Lactobacillus) produzieren Milchsäure aus Kohlenhydraten. Zusätzlich unterdrücken sie schädliche Mikroorganismen und beschleunigen die Zersetzung organischen Materials. In der Zusammensetzung sind Hefen (Saccharomyces) für die Unterstützung der Zellteilung und damit der Wurzelentwicklung zuständig. Aktinomyzeten (Streptomyces) sind weder den Bakterien noch den Pilzen klar zuzuordnen und produzieren Aminosäuren aus organischem Material. Fermentaktive Pilzarten (Aspergillus) sind eine Pilze, die  organisches Material zersetzen. All diese Bakterien und Pilze zusammen bilden die ursprüngliche Lösung der 1982 entwickelten effektiven Mikroorganismen. 

 

Anwendungen und Produkte

Effektive Mikroorganismen versprechen vielfältige und ganzheitliche Einsatzmöglichkeiten in den Bereichen Landwirtschaft und Tierhaltung. In der Landwirtschaft reichen die Anwendungen von Saatgutbeizung und Bodenaktivierung, Humusaufbau und Wurzelstärkung bis hin zur Lenkung der Rotte, natürlicher Schädlingsbekämpfung und Fermentierung von Gülle und Mist. In der Tierhaltung soll der Einsatz als Silage- und Futterzusatz, als Mittel zur Wasseraufbereitung sowie zur Verbesserung der Tiergesundheit und einer Reduzierung der Geruchsbelastung geeignet sein. 

Die Produkte deutscher und internationaler Hersteller sind stets durch den japanischen EM-Gründerkonzern EMRO zertifiziert. Entsprechend der Anwendungsbereiche sind die Produkte in verschiedenen Zusammensetzungen und in flüssiger oder fester Form erhältlich. Hier sollen die gängigsten Produkte kurz vorgestellt werden.

Erstes und wichtigstes Produkt die sog. Stammlösung EM1, ein nach EU-Richtlinie angemeldeter Silierzusatzstoff. Die toxikologische Unbedenklichkeit wurde bestätigt. Die aktivierten EM, genannt EMa, ist die mit einer Nährlösung und Wasser vermehrte Stammlösung. Eine Ausbringung in Form des EM-Keramikpulvers ist ebenfalls möglich. Das Produkt EM Bokashi besteht aus der Mischung von fermentiertem organischen Material zusammen mit der Urlösung EM1. Von anderen Herstellern existieren neben Flüssiglösungen zur Lenkung der Rotte außerdem Produkte für den Bereich der Tierhaltung.

 

Wirkungsweise

Der Anwendung von EM liegen drei verschiedene Prinzipien zugrunde. Nach der Definition von Teruo Higa werden Mikroorganismen zunächst in drei Gruppen unterteilt. Das sind die positiven (aufbauenden), die negativen (abbauenden) und die neutralen (opportunistischen) Mikroben. 

Gemäß dem Dominanzprinzip sind die aufbauenden, beziehungsweise abbauenden Mikroorganismen, die zahlenmäßig kleineren Gruppen. Die dominantere der beiden bestimmt das vorliegende Mikroklima in einem Ökosystem. Währenddessen machen die opportunistischen Mikroben den größten Teil aus und verfügen sowohl über regenerative als auch degenerative Fähigkeiten. Die vorherrschende Aktivität wird durch die positiven oder negativen Mikroorganismen bestimmt. EM beinhalten überwiegend regenerative Mikroorganismen.

Das Fermentationsprinzip unterscheidet zwischen schädlicher (SF) und nützlicher Fermentation (NF), die bei anaerobem Abbau eintritt. Bei Fäulnis (SF) entstehen faul riechende und nicht verträgliche Stoffwechselprodukte wie Ammoniak oder Methan. Dieses Milieu bietet Lebensraum für Keime und Schadinsekten. 

Während der Rotte (NF) hingegen wird das Ausgangsmaterial mit nützlichen Stoffen wie Vitaminen, Enzymen und Antioxidantien versetzt. Das Ziel der dafür geeigneten EM-Produkte ist die Unterstützung der nützlichen Fermentation.

Außerdem sollen EM eine antioxidative Wirkung haben. Oxidation ist der aerobe oder anaerobe Abbau von Stoffen durch Elektronenaustausch, der den Alterungsprozess beschleunigt. Laut Antioxidationsprinzip wirken EM der Oxidation durch Bildung von Antioxidantien entgegen. Dieser Effekt soll die Produkte der Radikalreaktion beeinflussen, die zum Beispiel bei radioaktiver Strahlung oder Fäulnisbakterien in geringen Mengen entstehen.

 

Kritik und Wirkung

Viele Landwirte schwören auf den vielfältigen Einsatz effektiver Mikroorganismen, unabhängig von konventioneller oder ökologischer Bewirtschaftung. Im deutschen Raum hat das sogenannte “Rosenheimer Projekt” viele Anhänger. 

Seit ihrer Entwicklung steht die Methode der EM als Anwendung in Landwirtschaft und Tierhaltung in der Kritik. In zahlreichen wissenschaftlichen Studien konnte die versprochene Wirkung für die meisten Anwendungsfelder bisher nicht zweifelsfrei belegt werden. Experten sehen EM für die Landwirtschaft in Hinblick auf die Verbesserung der Bodenqualität, Humusaufbau und verstärkte Wurzelbildung nicht geeignet. In einer Studie zur Beurteilung der Wirkung von EM über die Fruchtfolge von Ackerbohnen, Winterweizen und Sommergerste konnte weder durch Zugabe in flüssiger, noch in fester Form ein signifikanter Mehrertrag und damit abhängig von den Betriebsverhältnissen kein wirtschaftlicher Mehrertrag erzielt werden. Andere Versuche wollen eine erhöhte Photosynthesekapazität und Ertragssteigerung, vor allem bei Süßmais, festgestellt haben. Auch über die Eignung von EM zur Lenkung der Flächenrotte gibt es verschiedene Meinungen und Studien, die zu keiner zweifelsfreien erwiesenen Wirkung kommen. 

 

Pauschale Handlungsempfehlungen sind dennoch nicht leicht zu erteilen. Was bei einem Landwirt seit Jahren funktioniert, kann sich in einem anderen Fall als nicht zielführend erweisen.